Wenn ich von jetzt auf gleich nicht mehr an Bord bin und mir alle Fäden aus der Hand genommen werden, geht die Welt gar nicht unter.
Die Welt bleibt nicht stehen. Andere übernehmen das Kommando. Einfach so. Es funktioniert auch ohne mich. Sogar gut.
Dass Verantwortlichkeiten nicht einzig in meiner Hand liegen, dass andere – und das sogar gerne – mir Dinge abnehmen, musste ich erst durch eine Depression lernen.
Von jetzt auf gleich ging es mir schlecht. Es traf mich ohne Ankündigung. Im Moment. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Von jetzt auf gleich, kam ich nicht mehr aus dem Bett, weinte ich, fühlte ich mich von meinem Inneren abgeschnitten, war ich nicht mehr ich. Leere und Dunkelheit, größte Verzweiflung und Hilflosigkeit lebten in meiner Brust. Von jetzt auf gleich nahm ich nicht mehr am Alltag teil, weil ich nicht mehr wusste wie. Mir fehlte jeder Antrieb – stattdessen war ich überbordend gefüllt mit … Nichts. Einfach nichts. Kein Gefühl, wie gekappt.
Glücklicherweise bin ich über eine 48-Stunden-Notfall-Vergabe an einen Platz in einer Klinik gekommen. Mir war alles so egal, dass ich die Hosen komplett runterließ. Und all die Gedanken niederschrieb, für die ich mich so schämte - in einem Onlineformular für eine Klinik. Das hätte ich normalerweise niemals getan, wenn ich nicht so verzweifelt gewesen wäre. Ein Vierteljahr war ich in der Klinik. Es ging langsamer als im Schneckentempo aufwärts. Aber es ging aufwärts. Mein soziales Netzwerk funktionierte. Familie, Freunde, Arbeitgeber: ich konnte auf alle zählen. Keine Vorwürfe. Nur Verständnis.
Und ich war leider immer noch voller Unverständnis gegenüber mir selbst. Wie konnte ich nicht mehr funktionieren. Wie konnte ich nicht mehr ansprechbar sein, wie konnte ich so kraftlos sein und so verzweifelt werden. Es hat ein Jahr gedauert. Es war, als wäre mein inneres Haus abgerissen worden und ich habe einen Neubau begonnen. Stück für Stück. Dieses Mal mit solidem Fundament. Dann konnte ich wieder am Alltag teilnehmen.
Mein Therapeut sagte einmal etwas Entscheidendes zu mir: Nicht alles machen, was machbar ist. Das hat mich vorher überfordert. Alles regeln, alles machen, keine Grenzen kennen, jeder Herausforderung gewachsen sein: starkes Mädchen eben.
Nicht alles machen, was machbar ist. Dieser Satz hilft mir heute oft. Ich wäge ab, was sein muss, was sein kann, was nicht sein muss. Und ich wäge ab, ob alles in meiner Macht liegt und ich überhaupt mitmischen muss. Ich weiß ja, dass es auch weitergeht, wenn ich nicht Fäden ziehend bin, sondern einfach nur Zuschauer.
Im Rahmen der Mut-Tour werde ich bestärkt, dass es in Ordnung ist, Verantwortung zu teilen: Wir radeln im Duett. Gemeinsam. Wir schultern das Leben gemeinsam und somit auch alle Herausforderungen. Und bislang wurde jedes (Etappen-)Ziel dabei erreicht. Und zwar in Balance, im Gleichtakt, im Gleichgewicht. Wikipedia sagt zu Gleichgewicht: Gelassenheit, Gleichmut, innere Ruhe oder Gemütsruhe ist eine innere Einstellung, die Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung oder eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren. Sie ist das Gegenteil von Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität und Stress.